In meinen Begegnungen begegne ich Frauen in vielfältigen Lebenssituationen: Frauen mit und ohne Kinder, Frauen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen, Frauen in sozialen Berufen, Frauen in Führungspositionen, Frauen mit akademischem Hintergrund, Frauen, die die Mutterschaft genießen, aber auch solche, die sie bereuen, Frauen in den Wechseljahren, junge Frauen am Anfang ihres Lebenswegs und Frauen in der Rente. Einige haben ein enges Verhältnis zu ihrer Herkunftsfamilie, während andere keinen oder wenig Kontakt haben.
Mir ist bewusst, dass mein Blogartikel Verallgemeinerungen enthält und dass meine Perspektive nicht neutral ist. Mein Denken und Fühlen sind geprägt von meinem eigenen Leben und den Geschichten der Frauen, von denen ich lese oder mit denen ich im Austausch stehe.
Für diejenigen, die meine Luna Yoga-Kurse bereits länger besuchen, ist bekannt, dass ich hin und wieder einen kritischen Blick auf Yoga, Resilienztraining und Achtsamkeit werfe. Diese Konzepte oder Philosophien dienen mir als wichtige Anker im Leben. Meine Kritik entflammt nur dann, wenn ich den Eindruck habe, dass Frauen diese Praktiken als Reparaturmechanismus angeboten bekommen. Der Blick vieler Frauen auf sich selbst ist oft bereits defizitär, geprägt von dem Gedanken "Ich bin nicht gut genug". Die Vorstellung, dass man nur an sich arbeiten müsse, um die Frau zu werden, die man sein möchte, kann problematisch sein. Ich befürworte Selbstverwirklichung und das Streben nach mehr Gelassenheit. Es ist mir wichtig zu betonen, dass ich nicht gegen diese Ideale bin. Mein Anliegen besteht darin, die Haltung zu hinterfragen, mit der Frauen diese Achtsamkeitspraktiken angehen, insbesondere die Art und Weise, wie Yogalehrer:innen oder Achtsamkeitslehrer:innen ihnen begegnen. Es geht darum, welche Botschaften und Erwartungen durch solche Praktiken vermittelt werden und ob sie dazu beitragen, dass Frauen sich selbst als bereits vollständig und wertvoll erkennen, anstatt ständig an einem vermeintlichen Defizit zu arbeiten.
In der westlichen Kultur entsteht häufig der Eindruck, dass jeder Einzelne für seine Erschöpfung selbst verantwortlich ist, obwohl bereits seit den 70er Jahren bekannt ist, dass ökonomische Verhältnisse dazu führen, dass insbesondere Frauen durch die Doppelbelastung von Erwerbsarbeit und Sorgearbeit ausgezehrt werden. Der Kapitalismus und das Streben nach wirtschaftlichem Wachstum funktionieren in hohem Maße aufgrund der Tatsache, dass Frauen hauptsächlich für die Care-Arbeit verantwortlich sind, wobei die reproduktive Arbeit oft unsichtbar bleibt. Laut Studien arbeitet eine Frau auf das Jahr bezogen im Durchschnitt einen Monat mehr als ein Mann. Die Unsichtbarkeit ist gewollt, denn sonst würde der Profit anders aufgeteilt werden müssen. In der modernen Yogawelt stoße ich immer wieder auf Schubladendenken. Auch ich bin nicht frei von solchem Denken. Frauen werden häufig in die Rolle der Gebenden, Mutter oder Fürsorglichen gedrängt. Ich gestehe, dass ich in meiner Betrachtung manchmal etwas streng sein kann. Obwohl vom weiblichen Prinzip gesprochen wird, das natürlich auch dem Mann zugeordnet werden kann, könnte es vielleicht sinnvoll sein, das weibliche Prinzip neu zu formulieren und als das fürsorgliche Prinzip zu betonen.
Verschieden, aber gleichwertig
In meinem Umfeld beobachte ich, dass sich immer mehr Männer aktiv um Kinder und den Haushalt kümmern. Es gibt Familien, in denen die Frauen die Hauptverdienerinnen sind. Trotz dieser Entwicklungen zeigen empirische Studien, wie zum Beispiel von dem Soziologen Ulrich Beck, dass viele Männer zwar rhetorisch betonen, mehr Sorgearbeit übernehmen zu wollen, in der Praxis jedoch oft in ihren gewohnten Verhaltensmustern verharren.
Die Übernahme von Sorgearbeit wird in der westlichen Kultur häufig mit einem Statusverlust assoziiert. Diese Vorstellung kann abschreckend wirken, und es ist verständlich, dass nur wenige Männer bereit sind, diesen Statusverlust zu erfahren.
Es wird oft davon gesprochen, dass viele Frauen ihren Männern wenig vertrauen und davon überzeugt sind, die Kindererziehung besser bewältigen zu können – die Vorstellung der "perfekten Mutter". Während sicherlich etwas Wahres daran ist, zeigen Studien gleichzeitig, dass Frauen besonders dankbar für Unterstützung sind. Meine Vermutung ist, dass der ausgeprägte Perfektionismus in diesem Zusammenhang auf tief verwurzelte gesellschaftliche Strukturen zurückzuführen ist.
Es wäre unfair, den Frauen vorzuwerfen, dass sie selbst schuld seien, nur weil sie nach Perfektion streben. Grundsätzlich liegt der Fokus oft auf der Mutter, wenn es darum geht, ob das Familienleben gelingt. Bei Schulproblemen des Kindes, einem nicht optimal geführten Haushalt oder einer als nicht gesund empfundenen Ernährung der Kinder wird die Frau oft hauptsächlich daran gemessen, ob der Alltag funktioniert. Die Angst vor dem Urteil anderer spielt daher eine bedeutende Rolle als Stressquelle.
Im Patriarchat wird die Frau als minderwertig, schwach und hormonell gesteuert betrachtet. Ihre vermeintliche Hauptaufgabe besteht darin, dem Mann den Rücken freizuhalten, während dieser die Welt gestaltet. Die Existenzberechtigung der Frau scheint davon abzuhängen, dass sie sich diese durch besondere Leistungen und perfekte Erfüllung ihrer Rollen verdienen muss.
Ich erinnere mich gut daran, wie ein guter Freund über eine Bekannte sprach, die Mutter und Juristin war. Er stellte die Frage in den Raum, warum diese Frau arbeiten geht. Ich war schockiert und begann, mit ihm darüber zu diskutieren. Mich hat es überrascht, dass ein vermeintlich moderner Mann solche Äußerungen machte.
Es ist nicht ungewöhnlich, von Freundinnen zu hören, dass sie in der Familienorganisation oft die Hauptverantwortung tragen, sei es beim Behalten aller Geburtstage, dem Einkaufen von Winterjacken für die Kinder, der Koordination von Arztbesuchen oder der Organisation von Wellnesswochenenden mit dem Partner. Aus ihren Erzählungen geht hervor, dass viele Frauen sich nicht einfach einen Assistenten an ihrer Seite wünschen, sondern vielmehr einen gleichwertigen Partner. Die Sehnsucht nach einem gleichberechtigten Partner in der Familienorganisation zeigt, dass Frauen nicht nur nach Entlastung suchen, sondern auch nach einer partnerschaftlichen Verteilung von Verantwortlichkeiten, die niemanden unter die Räder bringt, weder Frau noch Mann.
Vor einigen Wochen traf ich einen bekannten Mann. Als ehrenamtliche Begleiterin unterstützte ich die Familie vor 20 Jahren. Ich passte regelmäßig auf die Söhne auf. Damals war der Mann für zwei Jahre arbeitslos und übernahm die Sorgearbeit innerhalb der Familie. Das ging recht gut, weil seine Frau sogar einen gut bezahlten Job hatte. Damals sagte er mir mal, dass er dankbar für die Zeit mit seinen Kindern war. Erst jetzt würde er erst verstehen und nachvollziehen können, was die Fürsorgearbeit bedeutet. Als wir uns so unterhielten, nach vielen Jahren, erzählte er mir, dass die Kinder ausgezogen sind. Er hatte Tränen in den Augen - Es ist nicht leicht für mich, dass sie weg sind.
Als Yogalehrerin begegne ich vielen erschöpften Frauen, spüre ihre Härte sich selbst gegenüber und höre Sätze wie "Es liegt an mir" oder "Ich kriege das nicht gebacken". Diese Erschöpfung betrifft nicht nur Mütter; auch Frauen ohne Kinder scheinen mental oft übermäßige Lasten zu tragen.
Es scheint, dass viele berufstätige Frauen ihr Engagement und ihre Hingabe im Beruf zeigen, jedoch zurückhaltender in Bezug auf klare Forderungen an ihre Arbeitgeber sind. Es gibt Studien, die darüber berichten, dass Frauen im Vergleich zu ihren männlichen Arbeitskollegen auch mehr Einsatz zeigen müssen, um eine gute Position zu halten.
Genuss und Freude ohne Verdienstzwang
Ungewollt kinderlose Frauen, die meine Trauerbegleitung suchen, durchleben häufig eine tiefgreifende Sinnkrise, die schwer zu ertragen ist. Gedanken wie "Nicht mal das Natürlichste auf der Welt bekomme ich hin" werden oft geäußert, und die Frage nach der eigenen Existenzberechtigung steht im Raum. Diese Frauen finden ihre Bedeutung oft durch herausragende Leistungen und Engagement, sowohl im privaten als auch beruflichen Bereich. Hier teile ich einen für mich bedeutsamen Leitgedanken: Vielleicht sind wir auch hier, um unser selbst willen. Wir dürfen einfach zufrieden sein mit uns.
Mein Anliegen als Yogalehrerin besteht darin, nicht nur einen physischen Raum der Erholung, sondern auch einen intellektuellen und geistigen Raum zu schaffen. Ein Raum, der nicht nur der körperlichen Regeneration dient, sondern auch Raum für Reflexion und Selbstvergewisserung bietet. In diesem Kontext ist es von Bedeutung, einen Diskurs darüber zu führen, dass die Existenz der Frau nicht an Bedingungen geknüpft ist, die erfüllt werden müssen. Diese Erkenntnis ist nicht nur für Frauen von Relevanz, sondern hat auch eine übergeordnete Bedeutung für die gesamte Menschheit. Es geht darum, dass wir uns bemühen, Gutes zu bewirken, dabei jedoch auch Quellen der Freude und des Genusses erleben - ohne den Hintergedanken, dass wir uns dies erst verdienen müssen.
Als Yogalehrerin habe ich erkannt, wie wichtig es ist, den Frauen gegenüber zu sagen: Ja, es ist herausfordernd, denn die Bedingungen sind keineswegs einfach.
Bei mir bleiben
Für mich persönlich versuche ich gerade, aus dem Zustand der ständigen Leistungsbereitschaft herauszukommen. Es fällt mir nicht leicht. Ein Teil von mir möchte sich Mühe geben, sich anstrengen, nicht nur 'null acht fünfzig' abgeben, sondern Herzblut hineingeben, die Komfortzone verlassen und mich nicht nur schonen. Anerkennung von außen ist mir wichtig, oder ist es doch die Wertschätzung? Gleichzeitig spüre ich, dass ich mehr bei mir bleiben möchte. Zufriedenheit nicht nur durch Arbeit erfahren.
Letztes Wochenende habe ich ein Auszeit-Wochenende für Frauen angeboten. Dabei fiel auf, dass der Austausch über unseren Wunsch nach Verbundenheit und Liebe sowie über unsere Verletzlichkeit Räume eröffnet – vielleicht auch gesellschaftliche Räume, weil wir darüber sprechen.
Aktuell steht die Planung für unser bevorstehendes Wander-Yoga-Wochenende vom 07. bis 09. Juni 2024 in den Startlöchern. Weitere Informationen folgen auf www.bergengel.ch.
Quellen:
Die Erschöpfung der Frauen, Franziska Schutzbach
Achtsamkeit: Der Boom - Hintergründe, Perspektiven, Praktiken, Dr. Ursula Baatz
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