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Zeit haben

Hallo ihr Lieben,

Zuerst möchte ich mich für die schönen Rückmeldungen bezüglich der Newsletter bedanken und für eure persönlichen Gedanken. Vielen Dank!

Ich hoffe, es geht euch gut, und ihr genießt den beginnenden Herbst. In den letzten Wochen habe ich interessante Erfahrungen gemacht, die ich gerne mit euch teilen möchte. Ich wurde nämlich ausgeschaltet. Oder vielleicht weniger technisch ausgedrückt, ich wurde auf mich selbst zurückgeworfen. Und wenn ich es positiv formulieren möchte, habe ich Zeit geschenkt bekommen.

Was ist also passiert? Manche von euch haben es vielleicht mitbekommen: Meine Katze Knopf wurde sehr krank. Dies hatte zur Konsequenz, dass wir unsere Katze drei Wochen lang pflegen mussten und unseren Urlaub absagen mussten. Aber das stimmt eigentlich nicht ganz. Warum schreibe ich "Urlaub absagen"? Ich hatte Urlaub. Nur bin ich nicht weggefahren. Bedeutet also "nicht wegfahren" automatisch, dass man keinen Urlaub hat? Das ist eine gute Frage, die ich gerne in diesem Newsletter behandeln möchte.

Die letzten Wochen waren geprägt von Aufs und Abs. Meine größte Sorge galt natürlich meiner Katze. Sie wirkte lange Zeit sehr schwach, benötigte Medikamente und Nähe. Manchmal saß sie nur auf meinem Schoß, wollte aber nicht berührt werden. In solchen Momenten saß ich einfach nur bei ihr. Es ist nicht leicht, jemanden leiden zu sehen, und das ist mir mal wieder bewusst geworden. Rasch wurde mir klar, dass ich mich auch um mich kümmern muss.




Zwischendurch passierte es dann auch noch, dass mein Handy nicht mehr funktionierte. Aus die Maus. Auch das noch. Mein erstes Gefühl war, dass ich überhaupt nicht verschont werde. In der ersten Woche konnte ich noch nicht lesen, da ich mich nicht konzentrieren konnte. Was mir sehr geholfen hat, war meine tägliche Yogapraxis. Ich habe mich bewegt, geatmet, langsame Bewegungen gemacht und mich. Endlich hatte ich die Zeit, die Online-Workshop-Reihe von Anna Trökes über die Atmung zu praktizieren. Die Atemübungen halfen mir, die Schwere in meinem Körper auszugleichen. Vor allem die Ujjayi Atmung (Das "siegreiche Atmen" Kaiserin über Stress und Unruhe).


Oft sind meine Alltagstätigkeiten nur ein Sprungbrett zum nächsten. Ich springe und springe, ohne Luft zu holen. Irgendwann begann ich, mich auch wieder im Alltag und in meinem Leben zu bewegen. Das Frühstückmachen wurde zu einer echten Tätigkeit. Jeden Tag versuchte ich neue Kreationen zuzubereiten, sei es Porridge mit Kompott, selbstgemachte Waffeln und vieles mehr. Das Kochen wurde ähnlich wie in der Coronazeit zu einer erfreulichen Abwechslung. Dann habe ich endlich mein Nähzimmer aufgeräumt, den Keller entrümpelt und wichtige Dokumente sortiert. Unzählige vereinzelte Socken haben wieder ihren Partner gefunden. Wir sind mehrmals um den Pfäffikersee gelaufen - zuerst noch mit Sommergefühlen, später mit Eindrücken des Herbstes. Sogar Mitte Oktober sind wir noch baden gegangen. Ausflüge nach Zürich waren ein Highlight, besonders die Führung im Kunsthaus Zürich über die Zeit und der feine Käsekuchen im Cucina Piccante in Pfäffikon (ein toller Wohlfühlort - dort arbeiten übrigens nur Frauen). Dann gab es noch den Ausflug nach Konstanz. Schön war auch der Besuch meiner Mama. Ich habe mir eine Massage bei Evelyn Steffen gegönnt und war wieder einmal überrascht, wie heilsam ätherische Öle auf mich wirken. Ich habe Podcasts und Interviews angehört und mich ausschließlich auf die Gespräche konzentriert, ohne Nebenbeschäftigungen. WhatsApp-Nachrichten wurden am Laptop beantwortet, meistens nur am Morgen und Abend. Plötzlich hatte ich Zeit. Das klingt vielleicht seltsam, oder? Vielleicht ist es ein bisschen so, wie es in einer Weisheitsgeschichte beschrieben wird, als ein Mönch antwortete: "Die Weisheit des Mönches – wenn ich gehe, dann gehe ich, wenn ich stehe, dann stehe ich..." Das bedeutet, dass du in dem Moment, in dem du etwas tust, ganz bei dieser Aktivität bist und die Gegenwart wahrnimmst. Auch musste ich an den Soziologen Hartmut Rosa denken, den ich schon öfters erwähnt habe, der Folgendes sagt: Je reicher eine Gesellschaft wird, umso stärker scheint der Zeitwohlstand zu sinken und die Zeitnot zuzunehmen. Denn materieller Wohlstand bedeutet, dass wir mehr produzieren und konsumieren. Das gilt nicht nur für Dinge. Wir haben auch viel mehr Kontakte und Möglichkeiten. Das führt dazu, dass wir für jedes Einzelding weniger Zeit haben. Oft sind meine Alltagstätigkeiten nur ein Sprungbrett zum nächsten. Ich springe und springe, ohne Luft zu holen. Ich möchte jedoch nicht nur von mir erzählen, da es mir unhöflich erscheint, sich ausschließlich selbst in den Mittelpunkt zu stellen. Stattdessen möchte ich Gedanken teilen, die möglicherweise auch dein Interesse wecken könnten. Wir kennen es alle: Wir betreten die U-Bahn, den Bus, die Bahn, und sehen nur Menschen, die auf ihre Smartphones schauen. Wollen wir das? Das erörtert die amerikanische Künstlerin und Autorin Jenny Odell in ihren Buch Nichts tun. Welche Möglichkeiten, sich der kapitalistischen Aufmerksamkeitsökonomie der sozialen Medien zu entziehen haben wir. Und welche Rolle spielt dabei die Beobachtung der Natur?




Konzentrationsfähigkeit verbessern

Ich möchte erneut auf mein kaputtes Handy eingehen, das dazu geführt hat, dass ich eine beträchtliche Zeit offline verbrachte. Mit der Zeit begann ich die positiven Veränderungen zu spüren. Ich wurde ruhiger, konzentrierter und präsenter. In seinem Buch "Konzentriert Arbeiten" erwähnt Cal Newport eine Studie, in der die Teilnehmer in zwei Gruppen aufgeteilt wurden. Die erste Gruppe unternahm einen Spaziergang in der Natur, während die andere Gruppe durch eine belebte Stadt ging. Anschließend wurden sie mit einer anspruchsvollen Aufgabe konfrontiert. Du kannst wahrscheinlich bereits erahnen, welche Gruppe bessere Ergebnisse erzielte - natürlich die Spaziergänger. Die Naturgruppe erbrachte eine um 20 % bessere Leistung. Interessanterweise wurde der Test in der folgenden Woche erneut durchgeführt, jedoch mit einer Umverteilung der Teilnehmer in die jeweils andere Gruppe. Das Ergebnis war identisch. Du könntest nun denken, dass dies ausschließlich auf die reizvolle Umgebung der Natur zurückzuführen war. Aber das war nicht der Grund. Der Unterschied lag darin, dass die Gruppe, die durch die Stadt navigieren musste (Menschen ausweichen, Verkehrsregeln beachten, Orientierungsaufgaben usw.), ihre Aufmerksamkeitskapazität bereits erschöpft hatte.

Das bedeutet, dass wir unsere Aufmerksamkeitsfähigkeit wiederherstellen können, wenn wir uns häufiger Pausen gönnen. Diese Pausen müssen nicht zwingend in der Natur verbracht werden. Wichtig ist, dass sie durch inhärent faszinierende Reize (der Sache innewohnend) geprägt sind, wie etwa ein schönes Gespräch, das Hören von Musik oder Yoga. Es sollte sich wie eine erholsame Auszeit anfühlen. Newport schlägt außerdem vor, analoge und Online-Zeiten nicht zu vermischen. Dies wäre für unser Gehirn äußerst anstrengend. Oje... hier fühle ich mich persönlich angesprochen: Schnell nochmal auf das Handy schauen, eine E-Mail beantworten...

Newport schlägt außerdem vor, analoge und Online-Zeiten nicht zu vermischen. Dies wäre für unser Gehirn äußerst anstrengend.


Mir ist bewusst, dass mein Kummer im Vergleich zum aktuellen Weltgeschehen doch sehr gering ist. Momentan hat man das Gefühl, dass der Menschenhass sich immer mehr verbreitet. Die Sendung "Sternstunde Religion - Welche Menschen wollen wir sein" mit Carel van Schaik und Kai Michel fand ich sehr spannend. Sie präsentierten Thesen in ihrem Buch darüber, dass der Mensch sich wieder auf die Qualitäten besinnen sollte, mit denen er als Jäger und Sammler gelebt hat: Gemeinsinn.

Die Würdigung dessen, was ist

Nachdem ich den Wunsch nach einer idealen Feriengestaltung, die meinen Vorstellungen entspricht (so sollten meine Ferien sein und nicht so, wie es gerade ist), hinter mir gelassen habe, begann ich zunehmend die positiven Aspekte in dem zu schätzen, was mir begegnete. Dabei begegneten mir viele schöne Momente. Wahrscheinlich würde ich mir diese Art von Urlaub nicht freiwillig auswählen, denn nicht alles war perfekt, und es gab durchaus Gründe, die Situation zu kritisieren.

Dennoch bleiben einige wichtige Erkenntnisse und Fragen:

· Warum finde ich keine Zeit, um meine Socken ordentlich zusammenzulegen?

· Warum verbringe ich so viel Zeit mit meinem Handy?

· Wie kann ich meine Fähigkeit zur Konzentration stärken?

Plötzlich fand ich unerwartete Wege, nahe Wege, die mir Freude bereiteten. Die Gedanken des französischen Schriftstellers Proust begleiteten mich:

Ideen sind Ersatz für Kümmernisse; in dem Augenblick, da diese sich in Ideen verwandeln, verlieren sie einen Teil ihrer schädlichen Wirkung auf unser Herz.

Und schließlich das Wichtigste (und mir ist bewusst, da

dass es für mich das Wichtigste ist): Meine Katze Knopf hat sich wieder deutlich erholt. Mich um sie zu kümmern und anzuerkennen, was das Leben von mir erwartet, hat mir gezeigt, dass ich lernen muss, meine Lebenszeit nicht zu entwerten.

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